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Das Aroma Taiwans

01.07.2008
Typisch taiwanisches Aroma: Klebereis mit Krebsen. (Foto: Courtesy Shin Yeh Restaurant)

Die taiwanische Küche ist nicht nur für Gourmets verlockend, sondern auch eine Attraktion für alle, die auf den Geschmack der einheimischen Kultur kommen möchten.

Hinter jeder Speise gibt es eine Geschichte, und die Gerichte, die im Shin Yeh Restaurant serviert werden, sind da keine Ausnahme. Der gebackene Meeräschenrogen erzählt von dem Fisch, der jedes Jahr um die Wintersonnenwende in großen Schwärmen zu Taiwans Südostküste wandert, um dort seine Eier zu legen. Auch wird damit an den Anblick des Rogens erinnert, der in den Küstendörfern unter freiem Himmel zum Trocknen ausgelegt und hinterher als Delikatesse verkauft wird. Und sautierte Schweineleber, eine der beliebtesten Speisen des Lokals, lenkt die Gedanken auf die Zeit, als Taiwan wirtschaftlich noch rückständig war und sich nur wenige Menschen teures Essen leisten konnten. Zwar gilt Schweineleber heute nicht mehr als Luxus, doch damals kam sie nur zu besonderen Anlässen auf den Tisch, etwa für eine reichhaltigere Ernährung von Kranken.

Shin Yeh ist stolz, solch einzigartig taiwanische Küche im Angebot zu haben. "Ich sage nicht, es wäre schlecht, Ausländer in ein Restaurant mit Sichuan-Küche auszuführen, doch wenn sie nur wenige Tage in Taiwan bleiben, sollte man sie zumindest in ein Lokal mitnehmen, wo taiwanische Gerichte serviert werden", rät Steve Shih, geschäftsführender Vizepräsident des Restaurants. "Auf diese Weise kann man sich entspannt mit ihnen unterhalten und ihnen etwas über das Essen erzählen, das sie verzehren."

Die taiwanische Küche hat ihre Ursprünge in der Ernährung der Mehrheit von Taiwans Bewohnern, deren Vorfahren vor mehreren Generationen nach Taiwan zogen. Die Herkunft der typisch inländischen Küche wird meist den frühen Einwanderern aus dem Süden der chinesischen Provinz Fujian zugeschrieben, außerdem den frühen Hakka-Zuwanderern, die überwiegend aus der südchinesischen Provinz Guangdong kamen. Zwar kam nach 1945 eine erneute Welle festlandchinesischer Einwanderer nach Taiwan, doch das Essen, das diese Gruppe bevorzugt (regionale Küchen aus verschiedenen Teilen Chinas), unterscheidet sich nicht wesentlich von der chinesischen Küche.

Manche Arten von Hakka-Speisen findet man nur in Taiwan, etwa gebratenen Schweinedarm mit dünnen Ingwerstreifen, ein typisches Hakka-Gericht, das für sein Essigaroma berühmt ist. "Soweit ich weiß, gibt es das nur hier", sagt Wen Shaw-bing, ehemaliger Direktor des Hakka-Kulturzentrums der National Cheng Kung University in Tainan. "In chinesischen Hakka-Gemeinden habe ich das nirgends gesehen." Die Hakka-Pfanne mit Zutaten wie Schweinehack, Trockengarnelen und Sellerie ist eine weitere lokale Spezialität, die in jedem Hakka-Restaurant auf der Karte steht.

Internationalisierung

Taiwanische Küche breitet sich auch in anderen Ländern aus. Wie andere Unternehmen in Taiwans Dienstleistungsbereich hat Shin Yeh gleichfalls seinen Betrieb ins Ausland ausgedehnt und eröffnete im Jahre 2005 sein erstes Restaurant in Beijing. "In China lebende Taiwaner treffen sich gern in unserem Lokal, um ihr Heimweh zu lindern, und sie laden mit Vergnügen Einheimische zu Festmählern dort ein", freut sich Shih. "Wenn sie andere Restaurants besuchen, hören sie, wie die Chinesen über ihre Regionalküche sprechen."

Nach Ansicht von Liang Chiung-pai, Autorin mehrerer Kochbücher über chinesisches Essen, gibt es zweifellos Verbindungen zwischen taiwanischer Küche und Min-Küche, einer der acht bedeutendsten Regionalküchen Chinas. Das ist nicht zu vermeiden, da die Mehrheit der Menschen in Taiwan ihre Herkunft zur Region südlich des Min-Flusses in Fujian auf der anderen Seite der Taiwanstraße zurückverfolgen kann.

Eine bedeutende "Kulturerbe-Speise", die von Fujian nach Taiwan kam, ist unter der blumigen Bezeichnung "Buddha springt über die Mauer" bekannt -- dabei handelt es sich um einen Eintopf mit Meeresfrüchten, der traditionsgemäß aus 12 Zutaten besteht, darunter Seeohren und getrocknete Garnelen. In Taiwan kostet eine große Schale dieser Speise je nach Qualität der Zutaten 800 NT$ (17,02 Euro) bis über 10 000 NT$ (212,76 Euro), und beim Familien-Festmahl am Vorabend von Chinesisch-Neujahr darf dieses Gericht nicht fehlen.

Im Laufe der Zeit hat Taiwan indes eine eigene unverwechselbare kulinarische Kultur entwickelt. "Im Vergleich mit chinesischer Küche zeichnet sich taiwanische Küche dadurch aus, dass sie so leicht und frisch ist", wirbt Shih. Das ist besonders der Fall bei Speisen mit Meeresfrüchten, die man überall auf der Insel ohne Schwierigkeiten bekommen kann. Shih fügt hinzu, dass die Zubereitung der meisten chinesischen Gerichte länger dauert als die Zubereitung taiwanischer Gerichte. "Beispielsweise verkürzen die Menschen hier die Zubereitungszeit, indem sie die Zutaten in der Pfanne bei großer Brathitze rühren, anstatt sie auf kleiner Flamme zu kochen."

Das Aroma Taiwans
Taiwan ist wegen seiner riesigen Auswahl von frischem Obst ein Paradies, und ein unverwechselbares Merkmal in Taiwans Küche ist die Kunst, das leichte Aroma von frischem Gemüse zu bewahren. (Fotos: Chen Mei-ling)

Laut Liang werden bei taiwanischer Kochkunst normalerweise simple Kochmethoden angewandt. Während die Festlandchinesen in Taiwan dazu neigen, Fisch auf raffinierte Weise zuzubereiten, etwa indem man den Fisch langsam in Sojasauce mit Zucker und Essig oder dicker Saubohnensauce köcheln lässt, geht es den Taiwanern eher darum, das ursprüngliche Aroma zu bewahren, sagt sie. Zum Beispiel kochen taiwanische Köche meist in kurzer Zeit einen ganzen Fisch oder dämpfen einen ganzen Hummer, ohne zu viele Gewürze hinzuzufügen.

Die Taiwaner wurden zudem von den Japanern beeinflusst, die Taiwan zwischen 1895 und 1945 als Kolonie verwalteten, und entwickelten dadurch eine Vorliebe für frische, ungekochte Speisen wie Sashimi. Liang: "Man gibt ein wenig Wein und Essig zu Muscheln hinzu, um die Keime abzutöten, dann essen die Taiwaner ihre Meeresfrüchte gern roh."

Die Kräuter des Landes tragen wesentlich zum typischen Aroma taiwanischer Küche bei. Ein solches Gewürz ist taiwanischer Basilikum, der dem Basilikum in italienischen Gerichten ähnelt, aber einen stärkeren Geschmack hat, erläutert Liang. Taiwanischer Basilikum wird am meisten bei einer lokalen Delikatesse namens san bei ji三杯雞 ("Drei-Tassen-Huhn") verwendet. Das Gericht, zu dem eine Tasse Reiswein, eine Tasse Sesamöl und eine Tasse Sojasauce beigemischt werden, enthält normalerweise pfannengerührtes Huhn, doch gelegentlich kann man als Ersatz auch Tintenfisch, Kaninchen oder sogar Froschfleisch verwenden. Als Herkunftsort des Drei-Tassen-Huhns gilt die chinesische Provinz Jiangxi, aber die einheimische Version unterscheidet sich durch die Zugabe von taiwanischem Basilikum.

Gut eingelegt, gut aufgelegt

Eingelegtes Gemüse spielt in taiwanischer Küche laut Liang ebenfalls eine wichtige Rolle. Salziger getrockneter Rettich, den man in jedem Restaurant mit einheimischen Gerichten bekommen kann, kann als eigene Speise serviert oder als Gewürz unter anderem zu Spiegeleiern hinzugegeben werden.

"Glückseliges eingelegtes Gemüse", das aus braunem Senf zubereitet wird, ist häufig in Hakka-Suppen enthalten. Um den Geschmack von Hühnersuppe zu verstärken, verwenden manche Köche anstatt Salz eingelegte Ananas. Eine ähnliche Rolle beim Kochen von Fisch spielt die eingelegte Kordienart Cordia dichotoma, ein südtaiwanisches Raublattgewächs.

Shih vom Shin Yeh-Restaurant glaubt, der großzügige Einsatz von eingelegtem Gemüse in Taiwan könnte in der japanischen Kolonialzeit angefangen haben. Die Kochbuchautorin Liang hält es dagegen für möglich, dass Eingelegtes deswegen beliebt wurde, weil die Menschen sich vor dem Beginn von Taiwans Wirtschaftswunder vor etwa 40 Jahren keine teureren Speisen leisten konnten. Eingelegtes war in der Regel eine gute Wahl, weil es gewöhnlich ein starkes Aroma hat, den Appetit befriedigt und billig herzustellen ist. Bei den Hakkas, die für ihre Sparsamkeit bekannt sind, ist der Gebrauch von Salz und Eingelegtem besonders beliebt. "Hakka-Speisen sind oft fettig und salzig", urteilt Liang. "Salzige Zutaten regen den Appetit an, doch beim Genuss von eingelegtem Gemüse wollen die Menschen lieber Reis als teures Fleisch dazu haben."

Chen Chao-lin, Chefkoch und Betreiber von Du Hsiaw Uyea, einem berühmten taiwanischen Restaurant im nordosttaiwanischen Ilan, weist gleichfalls auf die Bedeutung salziger Speisen in der Landesküche hin. Zum Beispiel ist gesalzene und getrocknete Ente, eine Ilaner Spezialität, seit langem eine wichtige Zutat. "Man kann Verschwendung vermeiden, wenn Nahrungsmittel konserviert werden, da sie sich dadurch eine Weile halten, und das war damals, als niemand einen Kühlschrank besaß, wirklich wichtig", argumentiert Chen.

Reisbrei ("Congee") war in wirtschaftlich mageren Zeiten laut Liang ebenfalls beliebt, da man für die Zubereitung von Reisbrei weniger Reis braucht als für das gleiche Volumen von normalem gekochten Reis. Wenn man bei Nahrungsmittelknappheit eine billige, sättigende Mahlzeit haben wollte, mischte man den Reisbrei mit Yams, der viel Stärke enthält und noch preiswerter ist als Reis. "Für Reisbrei wurde der Yams meist fein gehackt und nicht in Brocken verwendet, so dass es fast unmöglich war, nur den Reis zu essen und den Yams liegen zu lassen", verrät sie.

Das Aroma Taiwans

Üblich sind unter anderem Reisbrei mit Yams und eingelegtem Gemüse. (Foto: Huang Chung-hsin)


Mit Yams vermischter Reisbrei ist heute allerdings kein Symbol für Armut mehr. "Das essen die Leute heute, wenn sie von nostalgischen Gefühlen erfüllt werden", weiß Liang. "Es ist auch als gesunde Nahrung beliebt geworden, nachdem Forscher berichteten, dass Yams gut gegen Krebs ist. In der Vergangenheit aßen die Menschen Reisbrei mit Yams aus Not, heute kommt es auf den Tisch, weil man es will."

Aufgrund dieser Nostalgiewelle setzen viele Restaurants mit taiwanischer Küche wie Shin Yeh Reisbrei mit Yams auf ihre Speisekarte. Mehrere Restaurants auf einem kurzen Abschnitt der Fuhsing South Road in Taipeh profitieren ebenso von dem Trend und bieten vom frühen Nachmittag bis zum Morgengrauen Reisbrei mit Beilagen an. "Viele Menschen halten es für wichtig, den Verzehr von zuviel schweren Gerichten einzuschränken", bemerkt Wang Li-ling, Managerin in einem dieser Restaurants. "Sie wollen jetzt leichteres und gesünderes Essen. In der Vergangeheit kamen die Leute nur für eine nächtliche Zwischenmahlzeit zu uns, doch heute kehren immer mehr Kunden für eine richtige Mahlzeit bei uns ein."

Hakka-Küche ist gesund

Nach der Eröffnung vor vier Jahren reagierte die Restaurantkette "Natural Hakka" mit drei Filialen in der zentraltaiwanischen Stadt Taichung auf die wachsende Wertschätzung für nahrhaftes Essen und änderte deswegen ihr Angebot. "Traditionelle Hakka-Restaurants auf dem Lande servieren eher salzige Speisen, doch unsere Gerichte hier sind leichter, da unsere Gäste überwiegend Leute aus der Stadt sind", begründet Yang Poh-wei, Manager in einer der drei Filialen, die allesamt für ihre eindrucksvolle Dekoration bekannt sind.

Yang experimentiert außerdem mit neuen Rezepten, um Feinschmecker anzulocken und eine Stammkundschaft aufzubauen. Die Kette begann schon kurz nach der Eröffnung mit neuen Gerichten wie Schweinefleisch mit Kumquat-Sauce, einer bei der Hakka-Küche häufig verwendeten Sauce. Ab 2007 bot Natural Hakka Frühlingsrollen mit einer typisch taiwanischen Füllung an: Schweinedarm mit Ingwer. Laut Yang wurden allein im Jahr 2007 über 30 neue Rezepte entwickelt, wovon etwa 10 auf die Speisekarte der Restaurants gesetzt wurden. "Wir schaffen neue Speisen, die aber das wahre Aroma der Hakka-Küche erhalten müssen", so Yang.

Viele Manager taiwanischer Restaurants begnügen sich nicht damit, einfach nur neue kulinarische Kreationen zu ersinnen, sondern sie konzentrieren sich auch zunehmend darauf, wie die Speisen präsentiert werden. Vor dem Beginn der rasanten Wirtschaftsentwicklung des Landes ging es den Menschen eher darum, genug zu beißen zu kriegen, die Ästhetik der Nahrung war Nebensache. "Doch heute verändern wir das taiwanische Essen in dieser Hinsicht", prahlt Steve Shih von Shin Yeh. Das Restaurant hat sich Speisen ausgedacht, die nicht nur im Hinblick auf taiwanisches Aroma und traditionelle Zutaten reichhaltig sind, sondern auch was fürs Auge bieten.

Zum Beispiel arbeitet das Shin Yeh-Restaurant derzeit daran, Schweineblutwurst -- ein traditioneller taiwanischer Snack mit Biss, der häufig mit Erdnusspulver serviert wird -- so darzubieten, dass sie sich für festliche Banketts ebenfalls eignet. "Uns schwebt vor, den Gästen nur zwei Stückchen Schweineblutwurst vorzusetzen, die dann mit Messer und Gabel verzehrt werden", verkündet Shih.

Natürlich gehört zur Schweineblutwurst, selbst wenn sie den Gästen in so raffinierter Form vorgesetzt wird, auch eine Geschichte. In der Vergangenheit hielt sich eine taiwanische Familie in der Regel nur wenige Schweine. Nach dem Schlachten bemühten sie sich aus Sparsamkeit darum, so viel von dem Tier wie möglich zu nutzen, einschließlich des Blutes. Nach Shihs Ansicht könnte der Gastgeber eines Festessens seinen Gästen, die nicht so gut über Taiwans Geschichte Bescheid wissen, zur Unterhaltung die Anekdote über den Hintergrund der Speise auftischen, wodurch sie besser verstehen würden, dass die taiwanische Küche sich im Laufe der Zeit zwar veränderte, doch sie immer noch untrennbar mit der reichhaltigen Kultur verbunden ist, welche sie hervorgebracht hat.

(Deutsch von Tilman Aretz)

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